Vortrag von Johannes Stampf  am 28. Februar 2013

Wir leben in einer Welt mit zahlreichen unterschiedlichen, ja widersprüchlichen Überzeugungen und Identifizierungen.

So kann zum Beispiel das, was jemand als Richtig oder Falsch, Gut oder Böse empfindet und beurteilt,  zum Großteil von seiner religiösen Überzeugung geprägt sein. Für andere Personengruppen mag die Grundlage der  Identifizierung mit Werten die Muttersprache und Kultur, in der sie aufgewachsen sind, sein. Die politische Zugehörigkeit ist für einen gewissen Prozentsatz der Bevölkerung erstrangig, für andere wiederum zählen die aktuellen gesellschaftlichen Trends, denen sie sich anschließen.

Überzeugungen und Identifizierungen haben oft über Generationen hinweg unseren Sinn für das, was wir als Richtig und Falsch einstufen, geprägt.

Im Zeitalter der Globalisierung, wie wir sie heute erleben,  stoßen zahlreiche kulturelle, religiöse  und weltanschauliche Überzeugungen aufeinander. Vielerseits führt dies zu Verunsicherungen im herkömmlichen Wertesystem. Das verannlasste bereits Albert Einstein zu der Ansicht:

„Wir leben in einer Zeit vollkommener Mittel und verworrener Ziele“

Tatsächlich genießen wir heute einen noch nie dagewesenen Wohlstand, und noch nie hatten wir so viele Freiheiten wie heute, aber wie nutzen wir sie?

Wir verwenden unsere Freiheiten aufgrund unserer Überzeugungen mit gutem Gewissen leider oft in einer Art und Weise, die uns in neue, ungewollte Abhängigkeiten stürzt.  Beispiele dafür sind  der Konsumzwang, sowie die Abhängigkeit vom Fortschrittsdrang in der Produktion und in der Wirtschaft, was bereits verheerende Auswirkungen auf die Umwelt nach sich gezogen hat. Sehr leicht lässt sich dabei nachvollziehen, dass es an einem Weltbild fehlt, das das Wohl aller Menschen, wie auch das der Natur miteinschließen würde .

Die Uneinigkeit, ja Orientierungslosigkeit bezüglich eines Wertesystems können wir in den täglichen Debatten der politischen Parteien unseres Landes beobachten: in der nicht enden wollenden Bildungsdebatte, in  Fragen rund um den Ethikunterricht, sowie der Art und Weise der Sexualaufklärung,  und besonders in der widersprüchlichen Auffassungen bezüglich des Aufgabenbereichs und des Wertes der Familie.

Wie kann sich der Einzelmensch nun inmitten der ins Schwanken geratener Weltanschauungen orientieren? Es stellt sich die Frage, welche Rolle das Gewissen spielt, wie sehr es als ein „verlässliches  Instrument“  in der Feststellung von „Richtig“ oder „Falsch“ betrachtet weden kann.

Was versteht man unter „Gewissen“?

„Das Gewissen (lat. consciencia, wörtlich „Mit-Wissen“) wird im Allgemeinen als eine besondere Instanz im menschlichen Bewusstsein angesehen, die bestimmt, wir man urteilen soll. Es drängt, aus ethischen bzw. moralischen und intuitiven Gründen, bestimmte Handlungen auszuführen oder zu unterlassen. Entscheidungen können als unasuweichlich empfunden oder mehr oder weniger bewusst –im Wissen um ihre Voraussetzungen und denkbaren Folgen- getroffen werden.

Das einzelne Gewissen wird meist als von Normen der Gesellschaft und auch von individuellen sittlichen Einstellungen der Person abhängig gesehen. Ohne eine ethische Orientierung bleibt das Gewissen „leer“. Ohne Verantwortung ist das Gewissen „blind“.

Üblicherweise fühlt man sich gut, wenn man nach seinem Gewissen handelt. Das ist dann ein gutes oder reines Gewissen. Handelt jemand entgegen seinem Gewissen, so hat er ein subjektiv schlechtes Gefühl, ein schlechtes, nagendes Gewissen oder Gewissensbisse.“ (Wikipedia)

Wahrheit und Gewissen

Das Gewissen hat eine Kontrollfunktion, nämlich, ob unser Planen und Handeln mit dem Standard der von Gott gegebenen Wahrheit übereinstimmt. „Wahrheit“ bezieht sich hier hauptsächlich auf die geistigen Gesetzmäßigkeiten und Prinzipien, die unser spirituelles Leben lenken.

Durch den Sündenfall ging dem Menschen die Kenntnis dieser geistigen Prinzipien  größtenteils verloren. Sie wurden durch Pseudo-Wahrheiten ersetzt, die der göttlichen Wahrheit ähnliche Formen annehmen und deshalb vom Gewissen als solche eingestuft werden. So ist es zu erklären, dass sehr widersprüchliche Überzeugungen nebeneinander existieren können.

Erich Kästner stellte fest:

„Das Gewissen ist fähig, Unrecht für Recht zu halten, Inquisition für Gott wohlgefällig und Mord für politisch wertvoll. Das Gewissen ist um 180 Grad drehbar.“

Das Gewissen des gefallenen Menschen funktioniert ähnlich wie eine Gurkenranke:

Die Gurkenranke wächst als gerader  Spross hoch, und wenn sie einen Vorsprung,  Ast oder Ähnliches berührt, windet sich die Spitze um diesen und lässt ihren Halt nicht wieder los. Dieser ursprünglich gerade Spross erfüllt seine Aufgabe, die Gurkenpflanze hochzuziehen, indem er sich spiralförmig zusmmenzieht –nicht irgendwie, sondernmit ausgleichender Federwirkung – in einer linksdrehenden und einer rechtsdrehenden Spirale, die in der Mitte überspringt.

Gurkenranke 2In der dritten Stufe verhärtet sich diese besondere Spirale mit Hilfe von Lignin (der Stoff, der auch an der Verholzung beteiligt ist) – doch nur so stark, dass noch eine kleine Elastizität gegeben bleibt.

In ähnlicher Weise klammert sich das Gewissen an Ideen und Vorgaben, die es als richtig und wahr erkennt, auch wenn es sich um eine Pseudo-Wahrheit handelt. Es kann sich damit verbinden und  sich verhärten. Einmal als „richtig“ akzeptierte Gedanken und Urteile können sich in unserem Gewissen genauso verholzen wie die Gurkenranke.

Erich Fromm (1900-1980,  Deutsch-US-amerikansicher Psychoanalytiker, Philosph und Sozialpsychologe):

„Es gibt wohl kaum eine Grausamkeit oder Gleichgültigkeit gegen andere oder sich selbst, die nicht als Gebot des Gewissens rationalisiert wurde.“

Johann Nepomuk Nestroy (1801-1862, Österr. Dramatiker, Schauspieler und Bühnenautor)

„Gewissen ist der elastische Stoff, heut‘ kann man’s kaum über Maulwurfshügel spannen, morgen deckt man ganze Berge damit zu.“

Hinter dem Gewissen steht unser durch den Sündenfall verschüttetes ursprüngliches Gemüt. Unser Gewissen steuert uns als Verbindungsstück zu unserem ursprünglichen Gemüt in einer gefallenen Umgebung durch das Leben, und es kann sich dabei durchaus in einem oder in mehreren Pseudo-Angboten „verdrillen“ und derart verfestigen wie eine Gurkenranke.

Heute liegen Richtig und Falsch als Überzeugungen neben,- über,- und durcheinander, so dass letztlich nur Toleranz das Schlimmste verhindern kann. Beispiele dafür findet man im poitischen Alltag unserer Demokratie.

Obwohl die von unserem pseudo-wahrheitlich gebundenem Gewissen hervorgebrachten Taten unser ursprüngliches Gemüt noch weiter zuschütten können, bleibt es unausrottbar mit der ursprünglichen Wahrheit verbunden. Das ermöglicht letztlich jedem Menschen die Rückkehr zur Wahrheit.

Im Laufe der Geschichte gab es immer wieder Menschen, die durch die richtungsweisende Kraft ihres Gewissens den Mantel der Pseudo-Wahrheiten durchbrechen konnten und dadurch die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft vorantrieben. Martin Luther sagte über sich selbst:

„Mein Gewissen ist gefangen in Gottes Wort!“, oder Emanuel Swedenborg (1688-1772):

„Gewissen ist Gottes Gegenwart im Menschen.“

Die bedeutendsten Wendezeiten der Geschichte wurden durch die großen Religionsgründer herbeigeführt. Was geschieht, wenn die Menschheit eine der seltenen messianischen Zeitenwenden durchläuft?

Richtig- falschDas eingeschlossene, aber mit der ursprünglichen Quelle verbundene ursprüngliche Gemüt wird durch die Begegnung mit dem neuen Ausdruck der Wahrheit in stärkerer Weise als sonst angesprochen und kann alte Denkmuster leichter durchbrechen, bis hin zu einem Totalumbruch in Form eines Bekehrungserlebnisses. Richtig und  Falsch können nun klar unterschieden werden. Die dadurch auftretende Polarisierung ist bis zu einem gewissen Grad unvermeidlich: von den einen wird die Wahrheit als das Richtige erkannt (Gewissen und ursprüngliches Gemüt beginnen sich zu decken), worauf sie Schritt für Schritt alles Falsche „abarbeiten.“ Bei anderen hingegen verfestigt sich die Bindung an eine Pseudo-Wahrheit noch mehr (wie die Gurkenranke) und gegebnenefalls verbinden sich zuvor verfeindete Lager, um di Wahrheit zu bekämpfen (siehe: die Verfolgung Jesu zu seinen Lebzeiten).

Was können wir aus diesen Ausführungen schließen?

  • „Die Wahrheit macht euch frei!“ Die Wahrheit steht über jeder Pseudo-Wahrheit und wird sich durchsetzen.
  • Es gilt, das ursprüngliche Gemüt zu befreien und die Gewissensaktivitäten daran zu überprüfen, denn das ursprüngliche Gemüt steht höher als das Gewissen.
  • Wir sind gefordert, unser Gewissen zu erforschen und herauszufinden, wo es in Pseudo-Wahrheiten verstrickt ist und wo es bereits mit dem ursprünglcihen Gemüt in Einklang steht.

„Gewissenserforschung ist Spionage bei sich selbst“ stellte Jermone Klapka Jerome (1859-1927, englischer Erzähler und Komödienschreiber) fest.

Das kritische Überprüfen der eigenen Ansichten, Glaubenssätze und Verhaltensmuster ist daher in einer Zeit der Werte-Verunsicherung, wie wir sie heute erleben, von größter Bedeutung. Es kann unser Leben in eine neue, unerwartete Richtung lenken und uns auf Ebenen führen, die wir schon immer erreichen wollten.