Mag. Maria Neuberger-Schmidt

Rede an der UNO/Vienna International Centre
Das psycho-emotionale-Dreieck
Pädagogik in Familie, Schule, Gesellschaft

In einer Welt voll Ungerechtigkeit, Hunger, Korruption und Umweltbedrohungen sehnt sich die Menschheit nach Frieden, Wohlstand und harmonischen Beziehungen.

Unsere westliche Gesellschaft hat ein Wirtschaftssystem hervorgebracht, welches den Profit als ihren wichtigsten Wert erachtet, in der Annahme, dass die „unsichtbare Hand des Marktes“ in der Lage sei, die Eigeninteressen von Individuen in gerechten Ausgleich und Wohlstand zu verwandeln. Man kann nicht leugnen, dass dies zu wirtschaftlichem Wachstum und technologischen Fortschritt geführt hat, aber gleichzeitig geht auch die Schere zwischen Reichen und Armen immer weiter auseinander. Ungerechtigkeit, Kriege und Armut sind im Ansteigen, ebenso wie die Umweltzerstörung. Profit orientiertes Wachstum zerstört überdies die Artenvielfalt und Umwelt unseres Planeten, die Basis unserer Existenz.

Unser Profit- und wachstumsorientiertes Wirtschaftssystem ist stets dabei, künstliche Bedürfnisse zu erzeugen, indem es Menschen in Konsumenten verwandelt und eine narzisstische Gesellschaft von Egozentrikern und Selbstdarstellern hervorbringt.

Was das Leben der meisten Menschen bestimmt, ist die Frage: „Was ist gut für mich?“ und nicht „Was kann ich tun, damit das Leben auf dieser Welt besser und schöner wird?“

Was ist die Grundmotivation unsers Charakters: Ist es Egoismus oder Altruismus? Ist Selbstsucht unser Wesenskern? Viele Menschen denken, dass es normal sei, egoistisch zu sein. Die Bibel sagt: „Liebe deinen nächsten wie dich selbst!“ Es ist gut, für dich selbst zu sorgen, aber auch für das Wohl anderer. Wir brauchen das richtige Gleichgewicht.

Menschen, welche sich auf Darwins These vom „Überleben des Tüchtigsten“ beziehen, betrachten dies als eine Legitimation, stets den eigenen Vorteil anzustreben, wie dies in unserer Wirtschaft gelebt wird. Trotzdem ist es offensichtlich, dass wir ohne Kooperation nicht überleben können. Echte Kooperation bedeutet Fairness zwischen den eigenen Interessen und jenen der anderen. Beides ist gleich wichtig.

Die moderne Hirnforschung bestätigt, was Religionen und humanistisch denkende Philosophen immer schon gesagt haben: Wir sind zu Empathie und Zusammenarbeit berufen.

Von unserer Geburt an leben und lernen wir in menschlichen Beziehungen. Ohne liebevolle Annahme und Beziehung können sich Babys nicht entwickeln. Sie können nicht einmal überleben, selbst wenn ihre physischen Bedürfnisse gedeckt werden.

Jeder Mensch hat drei grundlegende psychologische Bedürfnisse. Geistig-seelische Gesundheit ist nur möglich, wenn sich diese drei ausgewogen entwickeln können:

BINDUNG
„Ich bin wer!“
Hier geht es um das Selbstwertbedürfnis und das Selbstwertgefühl
Dieses grundlegende Bedürfnis kann sich zu Beginn unserer Existenz nur in der sicheren Mutter-Kind-Bindung oder in einer entsprechend nahen Beziehung entwickeln. Hier geht es um den Aspekt der Person als Individuum, um Selbstwertgefühl und Urvertrauen. Jeder Mensch hat das Bedürfnis, empfinden zu können: „Ich bin wer!“ Liebevolle, sichere Bindung gibt die Kraft, gute Beziehungen im Leben aufbauen zu können: zu Eltern, Großeltern, Bruder, Schwester und anderen Familienmitgliedern, zu Partnern, nahen Freunden und zu Gott. Gott ist derjenige, der uns aus bedingungsloser Liebe schuf. Das Gefühl, einmalig zu sein und bedingungslos akzeptiert zu werden, als die Person, die wir sind, ist für jeden von uns wichtiger als alles andere, von der Geburt bis zum Tod, unabhängig davon wie schön, gut, intelligent und erfolgreich wir sind. Daher ist es sehr wichtig, dass Menschen lernen, einander so zu lieben, wie Gott uns liebt. Wenn wir nicht bekommen was wir brauchen oder glauben, uns verdient zu haben, ist es wichtig, dass wir uns an Gott wenden können, die Quelle der Liebe, die uns niemals enttäuschen wird. Gott wird unsere Herzen stärken, damit wir auch dann lieben können, wenn uns Unrecht getan wird oder wir uns enttäuscht fühlen.
Was der Mensch braucht, ist Zuwendung, die sich in Kernbotschaften ausdrückt wie „Ich bin für dich da!“, „Ich mag dich wie du bist!“, „Schön, dass es dich gibt!“

GELTUNG
„Ich gehöre dazu!“
Hier geht es um das Dazugehörigkeitsbedürfnis und das Dazugehörigkeitsgefühl.
Dieses Grundbedürfnis charakterisiert die Person als soziales Wesen. Jeder Mensch hat das Bedürfnis, empfinden zu können „Ich gehöre dazu!“ Wir haben das Bedürfnis, uns als wichtiges, anerkanntes Mitglied einer Gemeinschaft fühlen zu können: in der Familie, im Kindergarten, in der Schule, der Peergruppe, der Arbeitswelt und in der Gesellschaft.
Dieses Bedürfnis macht uns leicht manipulierbar, wenn unser erstes Grundbedürfnis, die sichere Bindung, nicht ausreichend stark entwickelt ist. Dann fällt es Kindern wie Erwachsenen oft schwer, negativem Gruppendruck zu widerstehen.
Ein Mangel an Liebe und Anerkennung macht uns anfällig dafür, nach künstlichem Ersatz zu suchen, der sich in der modernen Welt in einer einseitigen Ausrichtung nach Besitz und Konsum, in Kaufsucht, in der virtuellen Welt des Internets, übermäßigem Essen und Trinken, oberflächlicher Unterhaltung oder Drogen finden lässt.
Unsere Wirtschaft macht immense Profite, indem sie künstliche Bedürfnisse erzeugt, welche zur Ausbeutung von Mensch und Natur führen.
Was der Mensch in seinem Inneren braucht ist Anerkennung, die sich in Kernbotschaften ausdrückt wie „Ich achte dich!“ „Du gehörst zu uns!“

KOMPETENZ
„Ich kann was!“
Das dritte menschliche Grundbedürfnis ist Kompetenz.
Hier zeigt sich der Mensch als handelndes Wesen, in seinem Entwicklungsbedürfnis und dem Bedürfnis nach Selbstwirksamkeit. Jedes Kind und jeder Mensch hat das Bedürfnis, zu lernen, zu experimentieren und seine körperlichen und geistigen Fähigkeiten zu entfalten, begleitet vom Streben nach Autonomie, nach Selbständigkeit und Eigenverantwortung, von der frühen Kindheit bis ins hohe Alter.
Was den Menschen als handelndes Wesen motiviert ist Zutrauen, das sich in Kernbotschaften äußert wie „Ich trau dir was zu!“. Jeder Mensch hat das Bedürfnis zu fühlen: „Ich kann was!“

Diese drei Grundbedürfnisse stehen in wechselseitiger Beziehung und nehmen aufeinander Einfluss. Kinder können ihre Talente nur wirklich entfalten, wenn sie sich als Person geliebt und geachtet und als wertvolle Mitglieder ihrer Gruppe fühlen. Ansonsten mangelt es ihnen an Selbstwertgefühl, was zu einem Mangel an Selbstvertrauen führt. Daraus wiederum können Versagensängste entstehen, was die Lern- und Leistungsbereitschaft mindert und die Bereitschaft, sich Herausforderungen zu stellen. Dies kann zu Lernverweigerung oder einer Grundhaltung der Verweigerung von Kooperation führen.

Um Minderwertigkeitsgefühle zu kompensieren, können Kinder auch verzweifelt versuchen, gute Leistungen zu erbringen, nur um Anerkennung zu gewinnen. Dennoch bleibt in ihnen meist das Gefühl, nie gut genug zu sein. Wenn Kinder Anerkennung nur über Leistung erhalten, können sie auch ein ausgeprägtes Bedürfnis nach Effizienz und Wettbewerb entwickeln, aber auf kosten sozialer Kompetenzen und dem Sinn für Verantwortung.

Deshalb ist es wichtig, Kompetenz im Kontext von sicherer Bindung und Dazugehörigkeit einzubetten, damit Kinder gesunde Voraussetzung finden, das Beste aus ihren Talenten und Fähigkeiten in einem Klima von Freude und Verantwortungsbewusstsein zu entwickeln.

Um solche Ziele zu erreichen, müssen wir unseren Kindern und Jugendlichen vermitteln: „Du bist wichtig und wertvoll. Wir glauben an dich. Wir brauchen dich!“

Deshalb sollte unser Bildungssystem als erstes auf die Entwicklung einer guten und vertrauensvollen Lehrer-Kind-Beziehung achten. Parallel dazu ist die gute Klassengemeinschaft zu fördern, damit in jeder Klasse ein Klima von Wertschätzung und Kooperation entstehen kann, in welchem jedes Kind sich akzeptiert und geachtet fühlt. Diese beiden sind notwendige Voraussetzungen, um sich mit Freude und Eifer für das Lernen zu begeistern. Dieses muss selbstverständlich Schritt für Schritt erfolgen, indem es die individuellen Fähigkeiten und Kapazitäten respektiert. Lernen braucht Ermutigung und muss auf dem Erfolg aufbauen, indem es auf den gemachten Fortschritt achtet und weniger auf die Fehler. In einem gesunden, Ressourcen orientierten Ambiente wird jedes Kind versuchen, sein Bestes zu geben, wenn es keine Angst vor Versagen zu haben braucht oder die Angst, sich zu blamieren.

Erziehung zur Verantwortung sagt nein zu Freiheit ohne Verantwortung. Erziehung zur Verantwortung unterstützt die Charakterbildung, indem sie auch humanistische Werte und Regeln vermittelt, jedoch ohne unangemessene Bevormundung und Anpassungsdruck.

Übersicht:
Erziehung zur Verantwortung
• Wir müssen die Bedeutung von Lernen erweitern, denn Lehren bedeutet weit mehr als intellektuelle Fähigkeiten zu vermitteln. Es fördert die Entfaltung der gesamten Persönlichkeit eines Kindes, auch auf geistig-seelischer Ebene. Dazu gehören die Entfaltung sozialer Kompetenzen ebenso wie die seiner individuellen Talente, Neugierde, Kreativität, Disziplin und Charakter.
• Der Lernprozess muss auf persönlichen Erfahrungen aufbauen, emotionale Komponenten mit einbeziehen und einen Prozess der Selbstreflexion, Selbstbeurteilung, Einsicht und Selbstkritik fördern, in Ausgewogenheit zu externer Beurteilung durch Lehrer, Eltern und Peers.
• Erziehung zur Verantwortung legt den Schwerpunkt auf kreatives, soziales und praktisches Lernen durch Projekte innerhalb und außerhalb der Schule, wie zum Beispiel die Erziehung zu Umweltbewusstsein, mit Einbindung und Unterstützung durch die Familien und das soziale Umfeld.
• Ethik und Religion haben einen angemessenen Platz in der Bildung.
• Friedenserziehung und politische Bildung bekommen einen wichtigen Stellenwert und werden praxisorientiert und teilweise fächerübergreifend und vermittelt, damit unsere Jugend fähig wird, auch global zu denken und zu handeln.
• Kinder sollten ihre Rechte, aber auch ihre Pflichten kennen.
• Damit sich Kinder und Jugendliche als wichtige Mitglieder der Gesellschaft erleben können, müssen wir Ihnen auch einen angemessenen Beitrag an alltäglicher, konkreter und praktischer Verantwortung in Familie, Schule und Gesellschaft übertragen, mit der entsprechenden Hilfestellung und Anerkennung.
• Das Erlernen von Verantwortung ist mindestens ebenso wichtig wie die Vermittlung kognitiven Wissens. Vor allem wird es ihnen helfen, zu verstehen, wofür es sich lohnt, sich anzustrengen. Genau darin entsteht eine wichtige Quelle von Motivation, auch für das intellektuelle Lernen.

Wenn sich Kinder als geschätzte und fähige Mitglieder ihrer lokalen und globalen Gemeinschaft fühlen können, werden sie sich bemühen, ihre besten Anlagen zu entfalten. Gleichzeitig werden sie verstehen, dass wir dazu berufen sind, unsere Talente und Fähigkeiten füreinander einzubringen. Auf diese Weise werden sie motiviert sein, ihren Beitrag zu leisten, damit die Welt schöner und besser wird. Und sie werden verstehen, dass es genau das ist, was ihrem Leben Sinn gibt, wie auch dem unseren.

Wir wissen, dass wir Erwachsene wichtige Vorbilder für unsere Kinder sind. Bemühen wir uns, sie nach bestem Wissen und Gewissen zu begleiten und authentische, liebevolle, rechtschaffene und verlässliche Ansprechpartner für sie zu sein.

Mag. Maria Neuberger-Schmidt