Während unserer Missionsarbeit in Ungarn organisierten meine Frau Ingrid und ich im Jahr 1991 eine interreligiöse Konferenz in Budapest. Dazu luden wir Vertreter der verschiedenen Kirchen und Religionen ein. Bislang hatten wir zur Jüdischen Gemeinde in Budapest, eine der größten in Europa, keinerlei Kontakt.
Bei meinem ersten Besuch führte man mich in das Büro von Prof. Ernö Lazarovits, der für die auswärtigen Angelegenheiten und Kontakte zuständig war. Seine ausgezeichneten Sprachkenntnisse in Deutsch und Englisch ermöglichten sehr rasch einen intensiven Austausch; er war ohne Vorbehalte sofort bereit, sich mit der Thematik der Konferenz auseinander zu setzen. Schließlich nahm er auch daran teil, und wir konnten erleben, dass er eine allgemein sehr respektierte Person war.
Wenn er auch die Aufgaben eines Parlamentsabgeordneten auf sich genommen hatte, folgte er auch immer gerne den Einladungen zu unseren Konferenzen und Veranstaltungen, die ihn ins Ausland führten, in Länder Europas sowie in die USA, Korea und nicht zuletzt auch nach Israel.
Auf diesem Weg hatten wir Gelegenheit, Ernö und seine Vergangenheit immer besser kennen zu lernen. Eine kurze Zeit davon verbrachte er auch in Österreich – als junger Mensch, allerdings nicht als Student, sondern als Opfer des Holocaust.
Er überlebte den sogenannten Todesmarsch der ungarischen Juden, bei dem sie über eine weite Strecke auf österreichischem Gebiet wie Vieh von Ungarn bis nach Mauthausen/OÖ getrieben wurden. Das Herannahen der russischen Truppen führte dazu, dass sie von dort noch weiter getrieben wurden bis nach Gunskirchen, ebenfalls in Oberösterreich gelegen, wo sie in Baracken auf einem versteckten Waldstück festgehalten wurden. Ernö zählte zu den wenigen Überlebenden, die schließlich von den Amerikanern im Jahre 1945 befreit werden konnten.
Wir hätten nie vermutet, dass er eine so grausame Vergangenheit hatte, spürten wir doch im Zusammensein mit ihm in keinem Augenblick irgendeinen Anflug von Groll, Hass oder sonstigen Rachegelüsten. Dies war erstaunlich, da seine Haltung weit über die übliche jüdische Theologie von „Aug um Aug“ etc. hinausging. Verzeihen war für ihn kein Fremdwort.
So wird es uns in Erinnerung bleiben, wie er in Jerusalem bei einer Veranstaltung der „Middle East Peace Initiative“ bei einer Aussöhnungszeremonie den Repräsentanten der Muslime mit starkem emotionalen Ausdruck umarmte.
Eine enorme Herzenskraft für Aussöhnung sowie das tiefe Anliegen, dass etwas so Schreckliches wie der Holocaust nie wieder passieren dürfe, zeichneten Ernö als Menschen von Charakter aus. Um vor der Wiederholung eines solchen Geschehens zu mahnen, hat er sein Erlebtes in einem Buch festgehalten. Es war ihm sehr wichtig, dass dieses Buch auch auf Deutsch gelesen werden konnte, und so trat er mit dem Anliegen an Ingrid heran, sein Buch ins Deutsche zu übersetzen, was sie auch erfüllte. Die nun schon jahrelange Freundschaft gab ihm die Gewissheit, dass dieser Teil seines Lebenswerkes gemäß seiner Geisteshaltung in deutscher Sprache zur Verfügung stand.
Dabei gab er sich nicht damit zufrieden, dass das Buch mit dem Titel „Mein Weg durch die Hölle“ einfach erschienen war. Er bemühte sich unermüdlich auch durch Buchpräsentationen, die wir gemeinsam in einigen Städten in Österreich durchführten, das „Nie mehr wieder“ bewusst zu machen. Die meisten dieser Orte hatten einen Bezug zu seinem damaligen Todesmarsch wie z.B. Gunskirchen, Steyr, Raichraming, am Präbichl und Graz. Besonders freute es ihn, wenn er zu Jugendlichen – wie in einem Gymnasium in Steyr – sprechen konnte.
Nicht unerwähnt sollte auch bleiben, dass er weit über den Tellerrand des eigenen Schicksals hinaus wirkte. Wo immer er auf Verletzungen von Menschenrechten hinweisen konnte, erhob er seine Stimme, wohlwissend, dass der Holocaust auch mit harmlosen Feindseligkeiten beginnend letztlich verheerende Ausmaße annahm. „Wehret den Anfängen“, gab er immer wieder zu verstehen.
Dies erklärt auch, mit welch unglaublicher Energie er die Strapazen bei den Gedenkfeiern in Gunskirchen und Mauthausen trotz seines hohen Alters bewältigen konnte.
Lieber Ernö, wir empfinden tiefsten Respekt vor Dir. Du hast einen festen Platz in unserem Herzen und wir beten, dass Du auch in der ewigen Welt weiterwirken kannst.

Ernst Hauseder

7. Oktober 2015