Auch in Österreich gibt es immer mehr interkulturelle Paare. Erfolgreich interkulturelle Familien entstehen, wenn beide Partner eine gemeinsame neue „Familienkultur“ schaffen. Damit können sie auch Teil eines großen Friedensprojekts werden.

Eine fröhliche Geburtstagsparty auf dem Land. Vor einem behäbigen Vierkanthof in Oberösterreich inmitten von Mais- und Getreidefeldern sind Tische und Bänke aufgestellt. Bei Most, Bier und Cola ist die Unterhaltung in vollem Gang, laufend stoßen neue Gäste zur Runde. Von nebenan strömt der unverkennbare Geruch gegrillten Fleisches herüber. Kinder toben durch den Garten und vergnügen sich beim Schaukeln, Sandspielen und Wasserspritzen, während sich die Erwachsenen bereits am Büfett gütlich tun. Doch neben österreichischer Hausmannskost, wie Schweinsbraten mit Erdäpfeln und Schnitzel mit Kartoffelsalat, gibt es da auch exotische Köstlichkeiten, wie mariniertes Hühnchenfleisch (Adobo), pikant gefüllte Teigröllchen, diverse Soßen mit Gemüse – und natürlich Reis – in rauen Mengen.
An den Tischen schwirren drei Sprachen in verschiedenen Varianten bunt durcheinander: Breiter oberösterreichischer Dialekt und nicht gerade lupenreines Hochdeutsch mischen sich mit Englisch, Tagalog (der philippinischen Hochsprache) und philippinischen Dialekten. Die Bäuerin auf diesem traditionellen Familienbetrieb, auf dem drei Generationen zusammen leben, stammt von den Philippinen und ist hier offenbar sehr gut integriert. Die Hälfte der Gäste sind gemischte österreichisch-philippinische Familien mit Kindern – so wie wir, die wir vom Nachbardorf „angereist“ sind. Still und leise hat die „multikulturelle Gesellschaft“, die die meisten nur in der Großstadt vermuten, – zumindest im Kleinen – auch in den Kleinstädten, Dörfern und auf Bauernhöfen Wurzeln geschlagen.

Neben den klassischen Einwandererfamilien, meist aus dem früheren Jugoslawien oder aus der Türkei, leben heute in Österreich immer mehr von vornherein internationale und interkulturelle Paare und Familien. Im Jahr 2002 wurden in Österreich 23,8% aller neuen Ehen zwischen einem Partner mit österreichischer und einem mit ausländischer Staatsbürgerschaft geschlossen, 1998 waren es erst 13,9%. Die dürren Zahlen sagen natürlich nur teilweise etwas über die tatsächliche Nationalität beziehungsweise den kulturellen Hintergrund der Ehepartner aus, denn darunter sind selbstverständlich viele eingebürgerte Einwanderer, die eine Person aus ihrem Heimatland heiraten. Andererseits muss es aber auch immer mehr Ehen geben, bei denen zwar beide Partner österreichische Staatsbürger sind, einer davon aber zum Beispiel aus einer türkischen Familie stammt. Oder beide sind österreichische Staatsbürger, sie selbst oder ihre Familien aber aus verschiedenen Ländern eingewandert. Man sieht: Das alles und noch mehr sind interkulturelle Familien – da kann es zuweilen ganz schön kompliziert werden!

Interkulturelle Paaare „heiraten“ auch den Kulturkreis des anderen mit

Auch bei uns ist es nicht unkompliziert – und wieder anders: Ich selbst bin „eingeborener“ Österreicher mit ein paar Jahren Auslandserfahrung. Meine Frau ist amerikanische Staatsbürgerin, jedoch auf den Philippinen geboren und aufgewachsen. Mit 18 Jahren ist sie schon einmal ausgewandert, nämlich mit ihren Eltern und Geschwistern nach Amerika, wo ihre Mutter eine Existenz als Krankenschwester aufgebaut hatte. Obwohl sie in Amerika keine Sprachprobleme hatte (Englisch wird auf den Philippinen in der Schule und im Alltag häufig gebraucht), war es doch der erste Kulturschock. Der zweite kam dann mit der Übersiedlung nach Österreich, das sich, abgesehen von der Sprache, auch noch in vielen anderen Dingen von den USA unterscheidet. Vor elf Jahren haben wir in Österreich geheiratet, drei Kinder im Volksschul- und Kindergartenalter, die zweisprachig aufwachsen, machen das Leben spannend, abwechslungsreich und oft auch ziemlich stressig.

Interkulturelle (auch: „bikulturelle“) Familien treffen bei ihren Eltern, Schwiegereltern und Verwandten nicht selten auf Skepsis, manchmal auch auf Ablehnung, vor allem bei weit auseinanderliegenden Herkunftskulturen (nicht selten gibt es auch noch Vorurteile gegenüber dunkler Hautfarbe des Partners). „Das kann ja nicht gut gehen“, heißt es da oft. Wir hatten Glück, in meinem Eltern-, Verwandten- und Bekanntenkreis herrrschte uns gegenüber  von Anfang an eine vertrauensvolle und offene Haltung vor. Probleme in diesem Kreis, die mit unserer Interkulturalität zusammenhängen, haben sich immer relativ einfach lösen lassen. Manchmal muss ich den Dolmetsch spielen, und das nicht nur aus sprachlichen Gründen (meine Frau spricht mittlerweile recht gut Deutsch) und den Hintergrund diverser Verständigungsprobleme oder verletzter Gefühle auf beiden Seiten ausleuchten. Dasselbe gilt umgekehrt für meine Frau, die mich etwa darauf aufmerksam machte, dass Philippinos viel mehr als wir Österreicher unterschwellige Bedeutungen zwischen den Worten „hören“ und „transportieren“. So hatte anscheinend mein Schwiegervater etwas „gehört“, was ich weder ausdrücklich gesagt noch unterschwellig gemeint hatte, – ein typisch interkulturelles Missverständnis also.

Interkulturelle Paare sollten sich – wahrscheinlich noch mehr als solche, die der gleichen Kultur entstammen – darüber im Klaren sein, dass die auf Verliebtsein basierende Liebe am Anfang zwar schön ist, aber nicht ausreicht, um eine lebenslange Partnerschaft durch alle auf dem Weg liegenden Herausforderungen zu tragen. Gerade als interkulturelle Familie, auch wenn sie in einer westlichen Großstadt lebt, ist es nicht möglich, sich in einen Kokon der Privatheit einzuspinnen und die Beziehungen zu Verwandten, Freunden, Nachbarn usw. außer Betracht zu lassen. Auch hier im relativ individualistischen Westen kommen wir nicht daran vorbei, dass wir in gewisser Weise die Familie und Verwandtschaft, ja den ganzen Kreis der Beziehungen und sogar den Kulturkreis des Partners „mit-heiraten“.

Das hat auch durchaus konkrete Konsequenzen. So ist es wichtig, dass sich westliche Partner von Anfang an bewusst sind, dass ihre Frau oder ihr Mann aus einem materiell benachteiligten Land auch soziale Verpflichtungen gegenüber den Familienmitgliedern im Herkunftsland mitbringt. Was materielle Unterstützungsleistungen betrifft, sollten sich beide auf eine Vorgangsweise einigen, die weder die eigenen finanziellen Möglichkeiten überfordert, noch die Verwandten vor den Kopf stößt. Dabei kommt oft die Tatsache zu Hilfe, dass man mit dem Geld aus Europa dort viel mehr kaufen kann als hier. Unsere Freunde etwa haben Investitionshilfe beim Aufbau eines kleinen Unternehmens geleistet (Ein Jeep für einen Taxidienst wurde angeschafft) und eine Saisonarbeitsmöglichkeit für Familienmitglieder erreicht.  Philippinos haben einen weiteren Verwandtschaftsbegriff als die meisten Österreicher. Onkeln, Tanten, Cousins und Cousinen gehören noch zum engeren Verwandtenkreis, die bei Besuchen im Land berücksichtigt und wenigstens mit kleineren Geschenken bedacht werden sollten.

Interesse am Hintergrund des Partners zeigen, Kinder zweisprachig erziehen

Interesse am kulturellen Hintergrund des Partners zu zeigen und ständig bereit zu sein dazuzulernen, ist jedenfalls eine wichtige Voraussetzung zum Gelingen einer interkulturellen Partnerschaft. Dazu gehört bei mehrsprachigen Familien auf jeden Fall, dass jeder der verschiedenen Sprachen ihr gehöriger Wert beigemessen wird. Das kann in jeder Familie, je nach Sprachenkonstellation und persönlichen und familiären Bedürfnissen, anders aussehen. Meine Frau und ich haben uns jedenfalls schön von Anfang an darauf geeinigt, unsere Kinder zweisprachig aufzuziehen. Da meine Frau schon mit 18 nach Amerika übersiedelt ist und alle Verwandten gut Englisch können, haben wir beschlossen, bei zwei Sprachen zu bleiben, nämlich Deutsch und Englisch. Schon vom Babyalter an spricht meine Frau mit den Kindern Englisch, auch wenn die Kinder späterhin oft auf Deutsch antworten. Englisch wird für sie auf diese Weise trotzdem eine „Mutter-Sprache“, die ihnen als Alltagssprache vertraut ist, auch wenn zeitweise Wortschatz und Satzbau mangelhaft sind – das lässt sich späterhin relativ leicht ausbügeln. Meine Frau und ich sprechen untereinander Englisch, was auch verhindern soll, dass Deutsch, das ich ausschließlich mit den Kindern spreche und das sie überall sonst – in der Schule und in der Nachbarschaft – verwenden, zu dominant wird. Wir sind jedenfalls froh darüber, dass sich unsere Kinder mit Großeltern, Onkeln, Tanten und auch mit ihren Cousins und Cousinen verständigen können. Dadurch sind sie ihnen viel weniger fremd, als wenn wir übersetzen müssten.

Der große deutsch-amerikanische Sozialpsychologe und -philosoph Erich Fromm hat in seinem berühmten Buch „Die Kunst des Liebens“ den für jedes Paar notwendigen Entwicklungsweg beschrieben, der über die Verliebtheit hinaus zur Liebe als Lebensform führt: „Ich möchte den Leser davon überzeugen, daß alle seine Versuche zu lieben fehlschlagen müssen, sofern er nicht aktiv versucht, seine ganze Persönlichkeit zu entwickeln, und es ihm so gelingt, produktiv zu werden; ich möchte zeigen, daß es in der Liebe zu einem anderen Menschen überhaupt keine Erfüllung ohne die Liebe zum Nächsten, ohne wahre Demut, ohne Mut, Glaube und Disziplin geben kann.“  Für interkulturelle Paare ist besonders auch der Aspekt der Achtung vor dem anderen (und damit auch seiner Kultur) wesentlich: „Sie bezeichnet die Fähigkeit, jemanden so zu sehen, wie er ist, und seine einzigartige Individualität wahrzunehmen. Achtung bezieht sich darauf, daß man ein echtes Interesse daran hat, daß der andere wachsen und sich entfalten kann.“ Und die Offenheit einer reifen Paarbeziehung gegenüber anderen (gerade auch solchen, die „anders“ sind als ich) beschreibt er so: „Wenn ich einen Menschen wahrhaft liebe, so liebe ich alle Menschen, so liebe ich die Welt, so liebe ich das Leben. Wenn ich zu einem anderen sagen kann: ‚Ich liebe dich‘, muß ich auch sagen können: ‚Ich liebe in dir auch alle anderen, ich liebe durch dich die ganze Welt, ich liebe in dir auch mich selbst.'“

Der schweizer Psychologe und Spezialist für interkulturelle Paarberatung, Josef Lang, geht so weit, nicht mehr nur von „bikulturellen“ (zwei Kulturen), sondern von „trikulturellen“ (drei Kulturen verbindend) Paaren und Familien zu sprechen, da es ganz wichtig ist, dass diese nicht einfach aus jeweils einem Vertreter ihrer Kultur zusammengesetzt sind, sondern dass durch das gemeinsame „Projekt Familie“, an dem beide mit einer Grundhaltung der Liebe arbeiten, sozusagen eine neue „Familienkultur“ entsteht. Diese Erfahrung haben wir gemacht und machen wohl alle, die über eine längere Zeit erfolgreich an ihrem gemeinsamen Projekt arbeiten, das auch – und nicht zuletzt – ein kleiner Teil eines großen Friedensprojekts ist