World Press Freedom Day
Veröffentlicht anlässlich des Welttags der Pressefreiheit, 3. Mai 2025
Autor: Peter Zoehrer*, Executive Director, FOREF Europe
Am Welttag der Pressefreiheit ehrten wir den Journalismus als Hüter der Demokratie – eine Kraft, die Macht zur Rechenschaft zieht und den Stimmlosen Gehör verschafft. Artikel 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) verankert die Meinungsfreiheit als Fundament freier Gesellschaften. Doch diese Freiheit ist keine Einbahnstraße. Wenn Medien religiöse Minderheiten durch stigmatisierende Sprache diffamieren, formen sie nicht nur Narrative – sie entfesseln Realitäten, die Diskriminierung, Hass und Gewalt befeuern.
Das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit, geschützt durch Artikel 18 der AEMR, ist kein Gegensatz zur Pressefreiheit, sondern ihr untrennbarer Partner. Wird eines dieser Rechte untergraben, geraten beide ins Wanken. In einer Ära, in der Desinformation und Vorurteile durch digitale Kanäle rasend schnell verbreitet werden, trägt die Presse eine moralische und gesellschaftliche Verantwortung von ungeheurer Tragweite.
Die Macht der Worte: Stigmatisierung als Wurzel von Gewalt
In Demokratien weltweit werden friedliche Glaubensgemeinschaften durch eine Medienkultur bedroht, die alte Vorurteile in modernem Gewand recycelt. Begriffe wie „Sekte“ oder „Kult“ – ohne rechtliche oder wissenschaftliche Grundlage – dienen dazu, ganze Glaubenssysteme zu entmenschlichen. Diese Worte sind keine neutralen Beschreibungen, sondern Waffen: Sie schüren Angst, rechtfertigen Feindseligkeit und öffnen die Tür zu sozialer Ausgrenzung, Gewalt und rechtlicher Vernichtung.
Österreich: Wenn der öffentliche Rundfunk entgleist
Ein kürzlicher Vorfall in Österreich zeigt, wie selbst öffentlich-rechtliche Medien die Grenze zwischen Journalismus und Verleumdung überschreiten können. In einem 2-minütigen Beitrag des ORF Mittagsjournals wurde die Vereinigungskirche – eine in Österreich gesetzlich anerkannte Glaubensgemeinschaft ohne dokumentierte Verfehlungen – zwölfmal als „Sekte“ und einige Male als “Kult” gebrandmarkt. Ihre Mitglieder engagieren sich für Frieden, Bildung und interreligiösen Dialog, doch der ORF reduzierte sie auf ein diffamierendes Stereotyp.
Der Sender rechtfertigte seine Sprache mit einem japanischen Gerichtsurteil, das eine verwandte Gruppe wegen zivilrechtlicher Verstöße auflöste. Entscheidend wurde jedoch verschwiegen: Die Vereinigungskirche genießt in Österreich rechtlichen Schutz, lokale Vorwürfe von Fehlverhalten fehlen, und das japanische Urteil wurde von Menschenrechtsorganisationen wie dem IRF Roundtable, Human Rights Without Frontiers und Rednern des IRF Summit 2025 als Verstoß gegen internationale Standards der Religionsfreiheit verurteilt.
Das österreichische Anerkennungsgesetz von 1998 garantiert anerkannten Religionsgemeinschaften Gleichbehandlung. Indem der ORF diesen Schutz ignorierte und stigmatisierende Sprache wiederholte, säte er Vorurteile. Ein Sprecher der Kirche forderte vergeblich eine Richtigstellung. Solche Berichterstattung desinformiert nicht nur – sie schürt Hass. In Deutschland griffen kürzlich Neonazi-Extremisten Hare-Krishna-Anhänger an, eine Gewalt, die durch jahrzehntelange mediale Dämonisierung von Minderheitsreligionen als „gefährliche Sekten“ genährt wurde.
Ein europäisches Muster
Österreich ist kein Einzelfall. In Deutschland werden Gruppen wie Scientology oder Hare Krishna ohne gerichtliche Grundlage als „antidemokratisch“ diffamiert, was zu Überwachung, Arbeitsplatzverlust und sozialer Ächtung führt. In Frankreich führte der diskreditierte Parlamentsbericht von 1995 dazu, dass 172 Gruppen – von Christian Scientists bis Antoinisten – ohne Beweise als Bedrohung eingestuft wurden. Die staatliche Anti-Sekten-Taskforce MIVILUDES veröffentlicht Warnungen, die Medien ungeprüft übernehmen, und prägt so öffentliche Meinung und Politik.
Diese Begriffe haben keine rechtliche Präzision, doch ihre Wirkung ist verheerend. Trotz wiederholter Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die die Rechte von Minderheitsreligionen bekräftigen, bleiben stigmatisierende Etiketten tief im öffentlichen Diskurs verankert.
Globale Konsequenzen: Medien als Brandbeschleuniger
Die Folgen verzerrter Mediennarrative sind weltweit spürbar – und oft tödlich.
China: Mediengesteuerter kultureller Genozid
In China betreibt die Staatspropaganda eine systematische Dämonisierung religiöser Minderheiten, die als Bedrohung für die Ideologie der Kommunistischen Partei gelten. Falun-Gong-Praktizierende werden seit dem Verbot 1999 als „böser Kult“ verunglimpft, eine Bezeichnung, die Masseninhaftierung, Folter und Organraub rechtfertigt. Das China Tribunal, ein unabhängiges Gremium, dokumentierte, dass Falun-Gong-Anhänger und andere Minderheiten wie Uiguren gezielt Opfer eines staatlich organisierten Organhandels sind.
Seit 2017 wurden über eine Million Uiguren in Xinjiang in sogenannten „Umerziehungslagern“ interniert, wo sie Zwangsarbeit, kultureller Auslöschung und politischer Indoktrination ausgesetzt sind. Staatsmedien stellen dies als „Berufsausbildung“ dar, während Berichte über Folter, Zwangssterilisation und den Abriss von Moscheen ignoriert werden. Tibeter erleiden ein ähnliches Schicksal: Klöster werden zerstört, die tibetische Sprache unterdrückt, und der Dalai Lama wird als „Separatist“ diffamiert. Diese Narrative, verbreitet durch staatlich kontrollierte Medien, legitimieren einen kulturellen Genozid.
Russland: Staatsmedien als Werkzeug der Repression
In Russland wurden die Zeugen Jehovas 2017 als „extremistische Organisation“ verboten, ein Schritt, der durch jahrelange staatlich orchestrierte Medienkampagnen vorbereitet wurde. Staatsmedien wie Rossija 24 und RT porträtierten die Gruppe als Gefahr für die nationale Sicherheit, obwohl keine Beweise für kriminelles Verhalten vorliegen. Nach dem Verbot wurden über 180.000 Mitglieder in den Untergrund gezwungen, Hunderte inhaftiert, und viele berichten von Folter und Hausdurchsuchungen. Die Staatsmedien spielten eine zentrale Rolle, indem sie die Öffentlichkeit auf die Verfolgung einschworen und Dissens unterdrückten. Dieser Fall zeigt, wie Medien als Werkzeug staatlicher Repression eingesetzt werden können.
Nigeria: Die verschwiegene Tragödie der Christen
In Nigeria bleibt die Verfolgung von Christen eine der am wenigsten beachteten Menschenrechtskrisen. Zwischen 2020 und 2024 wurden laut Open Doors über 14.000 Christen von extremistischen Gruppen wie Boko Haram, ISWAP und radikalisierten Fulani-Milizen getötet. Allein 2023 wurden über 5.000 Christen ermordet, Tausende Kirchen zerstört, und Hunderttausende vertrieben. Dennoch bleibt die globale Medienberichterstattung lückenhaft, und das religiöse Motiv wird oft verschwiegen. Dieses Schweigen fördert Straffreiheit und signalisiert Verfolgern, dass die Welt wegsehen wird. In Regionen mit schwachem staatlichen Schutz ermöglicht das Versagen der Medien, die Wahrheit zu berichten, ungestörtes Leid. Das Schweigen ist Mitschuld. Wenn Medien über die Verfolgung von Christen in Nigeria schweigen, versagen sie nicht nur journalistisch – sie machen sich mitschuldig. Über 14.000 Tote in vier Jahren, Tausende zerstörte Kirchen – und kaum Berichterstattung. Demokratie stirbt im Dunkeln. Wen Journalisten “crimes against humanity” verschweigen, brechen sie die ethische Pflicht zur Wahrhaftigkeit. Schweigen schützt nicht die Opfer, sondern ermutigt die Täter.
Japan: Mediale Hexenjagd mit globalen Folgen
In Japan haben mediale Diffamierungskampagnen beispiellose Ausmaße erreicht. Nach dem Attentat auf Ex-Ministerpräsident Shinzo Abe 2022 wurde die Vereinigungskirche in über 4.000 Artikeln als „Kult“ gebrandmarkt, obwohl kein Zusammenhang mit dem Verbrechen bestand. Der Attentäter T. Yamagamy handelte aus persönlichen Motiven, doch die Medien nutzten die Tragödie, um eine Hexenjagd zu entfesseln. Unter diesem Druck leitete die Regierung rechtliche Schritte ein, die am 25. März 2025 zur Auflösung der Kirche durch das Bezirksgericht Tokio führten. Die Berufung läuft, doch der gesellschaftliche Schaden ist immens: Kinder werden gemobbt, Unternehmen kündigen Verträge, Banken verweigern Dienstleistungen. Sollte die Berufung scheitern, droht die Beschlagnahmung allen Vermögens und die Schließung von Kirchen – eine beispiellose Vernichtung einer legalen Glaubensgemeinschaft ohne strafrechtliche Grundlage.
Dieser Vorgang ist ein Alarmsignal für Demokratien weltweit. Japan, die drittgrößte Wirtschaftsmacht und eine vermeintlich stabile Demokratie, tritt fundamentale Prinzipien wie Religionsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit mit Füßen. Diktatorische und autokratische Regime reiben sich die Hände, wenn sie sehen, wie eine demokratische Nation solche Präzedenzfälle schafft. Der „Copycat-Effekt“ ist vorprogrammiert: Autoritäre Staaten könnten Japans Vorgehen als Blaupause nutzen, um religiöse Minderheiten unter dem Deckmantel medialer und politischer Unpopularität zu unterdrücken. Internationale Stimmen, darunter Ex-US-Botschafter Sam Brownback, Ex-Sprecher Newt Gingrich und USCIRF-Co-Vorsitzende Katrina Lantos-Swett, verurteilen dies als direkten Angriff auf die Demokratie. Auch europäische Experten,, wie Dr. Massimo Introvigne, Willy Fautre oder Dr Aaron Rhodes warnen: Japan öffnet eine Büchse der Pandora, die globale Auswirkungen haben könnte.
Digitale Echokammern und wachsender Widerstand
In unserer vernetzten Welt verbreiten sich Desinformation und Stigmatisierung mit Lichtgeschwindigkeit. In Bangladesch löste 2021 ein falscher Social-Media-Post über eine Koranschändung während Durga Puja tödliche Unruhen aus. Die Grenze zwischen Gerücht und Journalismus löst sich auf.
Doch es wächst Widerstand! Plattformen wie Bitter Winter, FOREF Europe, CESNUR und HRWF sowie unabhängige Wissenschaftler dokumentieren Missbrauch und verteidigen das Gewissen.
Ein Aufruf zur Verantwortung
Um Pressefreiheit und Religionsfreiheit zu schützen, sind dringende Maßnahmen erforderlich:
- Stigmatisierende Sprache ausmerzen: Begriffe wie „Kult“ oder „Sekte“ dürfen nur mit objektiven, rechtlichen Beweisen verwendet werden. So wie rassistische Beleidigungen wie das „N-Wort“ oder antisemitische Schimpfwörter wie „Jude“ als abwertende Bezeichnung aus dem verantwortungsvollen Diskurs weitgehend verbannt wurden, müssen religiöse Diffamierungen zurückgewiesen werden. Die erfolgreiche Überwindung solcher Sprache zeigt, dass gesellschaftlicher Wandel möglich ist: In vielen Ländern wurden rassistische oder antisemitische Begriffe durch gezielte Bildung, gesetzliche Maßnahmen und mediale Selbstkontrolle aus dem öffentlichen Sprachgebrauch gedrängt. Ebenso müssen Begriffe wie „Sekte“ durch neutrale Alternativen wie „Glaubensgemeinschaft“ oder „neue religiöse Bewegung“ ersetzt werden.
- Journalistenschulungen: Medienvertreter brauchen Schulungen in Religionsfreiheit, religiöser Bildung und kultureller Sensibilität, um Stereotypen zu vermeiden.
- Medienverantwortung stärken: Ombudspersonen, unabhängige Presseräte und öffentliche Reaktionen auf diffamierende Inhalte müssen etabliert werden.
- Unabhängigen Journalismus fördern: Unterstützung für Organisationen, die Pressefreiheit und die Rechte religiöser Minderheiten verteidigen, ist essenziell.
- Anti-Sekten-Narrative ablehnen: Regierungen und internationale Gremien müssen Narrative vermeiden, die gegen Menschenrechtsnormen verstoßen.
Wie UN-Sonderberichterstatterin Nazila Ghanea 2023 warnte, geht „direkte Gewalt gegen marginalisierte religiöse Gemeinschaften oft Hand in Hand mit gesetzlich vorgeschriebener Diskriminierung“ – vieles davon durch voreingenommene Medien befeuert.
Fazit: Ein Test für die Seele des Journalismus
Der Welttag der Pressefreiheit ist mehr als eine Feier – er ist ein moralischer Prüfstein. Wird die Presse an der Seite der Unterdrückten stehen oder dem Mob folgen? Wird sie Artikel 18 und 19 der AEMR verteidigen oder sie für Sensationalismus opfern?
In diesem zerbrechlichen globalen Moment ist Integrität der Maßstab. Wir fordern einen Journalismus, der Wahrheit über Tribalismus, Kontext über Karikatur stellt. Die Presse hat die Macht, Brücken zu bauen oder Abgründe zu schaffen. Es liegt an ihr, zu entscheiden, welches Erbe sie hinterlassen will. Die Welt schaut zu – und die Geschichte wird urteilen.